Es ist zwar noch ein bisschen Zeit bis zur 100-Tage-Bilanz der neuen Regierung, aber eine erste Betrachtung ist wohl schon erlaubt.

Es ist absolut positiv, dass unser neuer Landwirtschaftsminister direkt zu Beginn seiner Amtszeit die absolut richtigen Themen angesprochen hat und mit dem Hinweis auf die nicht zu akzeptierenden Ramschpreise für Lebensmittel den Finger in die wichtigste Wunde gelegt hat. Auch, dass das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium parteipolitisch in gleicher Hand sind, lässt auf eine konstruktive Arbeit hoffen. Die Blockadepolitik zwischen dem BMU und BML der vergangenen Regierung war zum Schluss ja auch unerträglich und kontraproduktiv.

Der erste Schritt ist es, die richtigen Themen anzusprechen, was gerade bei den Lebensmittelpreisen geschehen ist. Jetzt muss der zweite Schritt aber folgen und diese richtigen und wichtigen Themen für die deutsche Landwirtschaft mit Inhalt zu füllen und mit konkreten Ideen und Projekten anzugehen. Dabei ist es unerlässlich, auf die Vielfältigkeit der Regionen zu schauen und vor allem mit den Landwirtinnen und Landwirten in den Regionen ins Gespräch zu kommen und Ihnen zuzuhören, um zu verstehen, was es alles vor Ort schon gibt, was in den letzten Jahren schon verändert und umgesetzt wurde und um zu verstehen, wo die Schwierigkeiten liegen.

Niemand behauptet, dass es nicht auch noch Verbesserungs- und Entwicklungspotentiale in der Landwirtschaft gibt, ganz im Gegenteil. Angesichts der vielen Dinge, die in den letzten Jahren in der Landwirtschaft schon umgesetzt worden sind und sich massiv weiterentwickelt haben, ist es aber die Frage, ob der vielzitierte Begriff der „Transformation“ für die Landwirtschaft wirklich angebracht ist.

Alles muss aktuell transformiert werden und der Begriff „Transformation“ hat quasi eine inflationäre Anwendung erfahren. Wenn wir davon ausgehen, dass laut Definition unter Transformationen ein grundlegender Wandel verstanden wird bzw. aus gesellschaftlicher Perspektive damit eine sprunghafte Veränderung beschrieben wird, drängt sich die Frage auf, ob der Begriff für die Landwirtschaft wirklich passend ist und ob wir nicht in diesem Bereich, nach genauerem Hinsehen, vielmehr von Weiterentwicklung, Problemlösung und Konzeptentwicklung sprechen sollten.

Wäre der Begriff Transformation nicht viel richtiger dort eingesetzt, wo wir einen sprunghaften Wandel wirklich brauchen wie zum Beispiel bei den Lebensmittelpreisen, dem Gesetzes- und Verordnungsdschungel und dem Umgang miteinander?

An vielen Punkten wird diese Diskrepanz, oder sollten wir Wahnsinn sagen, sehr deutlich. Alle wollen Tierwohl! Dann muss man aber auch den Bau bzw. Umbau solcher Ställe ermöglichen. Alle wollen sichere Lebensmittel! Dann muss man aber auch deren Produktion schützen und bereit sein, diese zu bezahlen. Alle wollen grüne Energie! Dann muss man aber auch das Photovoltaikprojekt für alle Betriebe und alle Regionen öffnen. Alle wollen Insekten- und Artenschutz! Dann muss man das schon erreichte aber auch zur Kenntnis nehmen und als Grundlage nehmen, um diesen Bereich weiterzuentwickeln.

Alle diese Fragen sind aus unserer Sicht gesellschaftliche Fragen und diese müssen als gesellschaftliche Herausforderung angegangen werden. Artenschutz und Biodiversität zum Beispiel endet nicht am Weidezaun oder an der Ackerfurche, sondern betrifft genauso dann auch das angrenzende Wohngebiet, Gewerbegebiet oder Infrastrukturpunkte. Wir diskutieren intensiv den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft, klammern dabei aber gerne den Einsatz dieser Mittel im Privatbereich aus. In der Landwirtschaft gibt es dafür den Sachkundenachweis, engmaschige Kontrollen vom Einkauf bis zur Ausbringung und den Einsatz modernster Technik. Wieso gibt es das nicht auch dann auf der Privatseite? Das ist nur ein Beispiel.

Der Landwirt und die Landwirtin von heute und morgen verstehen Sie sich nicht nur als Produzenten von hochwertigen, sicheren und gesunden Lebensmitteln, sondern sind auch Erzeuger von grüner Energie, sind Artenschützer, sind Klimaschützer bzw. wollen und können das werden. Darauf müssen aber auch die Projekte ausgerichtet sein und vor allem müssen gesellschaftliche und politische Anforderungen bzw. Wünsche so strukturiert sein, dass die angesprochenen Bereiche zu einer neuen Wertschöpfungssäule für die landwirtschaftlichen Betriebe werden können. Forderung, Vorgaben und Verordnung lassen sich nicht zum Nulltarif umsetzen.

In anderen Wirtschaftsbereichen funktioniert das auch ganz selbstverständlich. Niemand diskutiert den Kohleausstieg, den Atomausstieg oder die Erhöhung der Anzahl an Elektroautos ohne sofort auch über die notwendigen, finanziellen Entschädigungen, oder sollen wir es Investitionen nennen, zu diskutieren.

Warum gibt es das nicht für die Landwirtschaft? Es geht nicht darum, Almosen für die Landwirtschaft zu erbitten, es geht darum, dass erbrachte Leistungen und zukünftig gewünschte Leistung, die die Landwirtschaft erbringt bzw. erbringen soll und kann, honoriert werden. Denn ohne klare Definition einer Wertschöpfungskette werden viele landwirtschaftliche Betriebe den Kampf um die niedrigsten Erzeugerpreise nicht überleben. Wir erwarten keine Klientelpolitik für uns, genauso darf es dann aber auch keine für andere Bereiche geben. Der größtmögliche Kompromiss muss das Ziel sein. Aber jeder Kompromiss bringt es im demokratischen Umgang auch mit sich, dass man auch abweichende Positionen und Inhalte akzeptieren muss. Es werden für uns Landwirtinnen und Landwirte bei jedem Kompromiss schmerzliche Dinge dabei sein, da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Wenn aber die Gesamtrichtung stimmt, lassen sich diese umsetzen.

Wie wollen wir uns denn zukünftig ernähren? Dabei ist es ist egal, ob ich mich pflanzlich ernähre oder gerne auch einmal Fleisch esse, in jedem Fall muss es doch das Ziel sein, sichere und nachvollziehbar produzierte Lebensmittel kaufen zu können, die im besten Fall vor der eigenen Haustür, sprich regional und nachhaltig, produziert worden sind. Sind wir wirklich schon an dem Punkt, dass wir Fleisch, Käse und Eier, die im Labor produziert werden, feiern, ohne zu wissen, welche Auswirkungen eine künstliche Produktion hat und in welche Abhängigkeiten wir uns damit bringen und im Umkehrschluss gleichzeitig die Produktion auf natürlichem Wege verdammen? Ist es wirklich nachhaltiger über Laboressen zu diskutieren, als die vorhandenen Strukturen mit und für die Landwirtinnen und Landwirte weiterzuentwickeln. Das Problem der Ramschpreise für Lebensmittel löst die neue Produktionstechnik auch nicht.

Die Vielseitigkeit der Landwirtschaft, die Vielseitigkeit der Regionen und die Vielseitigkeit der Möglichkeiten und Ansprüche in unserem Land macht es unerlässlich, mit den Akteuren in den Regionen in den Dialog zu kommen, um die Herausforderungen zu verstehen und um ihnen damit auch den gebührenden Respekt entgegenzubringen.

Nur festzustellen, dass man auf Bundesebene in guten Gesprächen sei, ist für die ersten 100 Tage zu wenig.

 

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen